Eine Seefahrt…

Indonesien

… die ist lustig. Auch. Und manchmal eher für Andere. Hier entscheidet wie so oft der Stantpumkt. Oder wie sagte noch ein alter Kumpel: „Irgendein Idiot ist ja immer dabei. Und wenn du nicht weißt, wer der Idiot ist, dann bist es vermutlich du selbst.“ Der Ausspruch bezog sich im Original nicht auf Schiffsreisen, er ist daher selbstverständlich auch auf andere Bereiche problemlos übertragbar. Im Fall unserer Bootstour fällt mir jedoch sofort jemand ein, der keine Ahnung hat, wer hier der Idiot ist. Und dieses Mitglied unserer kleinen Reisegesellschaft sitzt mir zufällig gegenüber, als Ogung, die indonesische Variante von Sascha Hehn, uns am zweiten Abend das Abendessen serviert.

Da wir in den ersten beiden Tagen viele Seemeilen hinter uns zu bringen haben, damit uns dann anschließend möglichst viel Zeit im Komodo-Nationalpark zur Verfügung steht, besteht das Rahmenprogramm an Tag 1 unserer Reise ausschließlich aus Schlafen und Essen, gefolgt von einem kleinen Nickerchen mit anschließender Nahrungsaufnahme. Nach einer kleinen Ruhepause wird uns ein Snack gereicht. Die anschließende Zeit steht zur Entspannung zur Verfügung, bevor uns schließlich das Abendessen serviert wird. Danach begeben wir uns zur Nachtruhe. An Tag 2 stehen an der Nordküste von Sumbawa drei Tauchgänge auf dem Programm – kein Nachttauchgang, denn zwischen uns und dem nordöstlichen Zipfel des Parks liegen immer noch ein paar Stunden und jede Menge Wasser. Die straffe Abfolge von Schlafen und Essen wird allerdings durch das Tauchen nur wenig beeinflusst.

Die Tauchgänge vor Sumbawa haben nicht wirklich viel zu bieten. Die riesigen Schwärme von Snappern, Füsilieren und Makrelen behindern im kristallklaren Wasser die Sicht auf einen Farbflash aus ungezählten Arten von Korallen und Schwämmen in einem gesunden, artenreichen und vollkommen intakten Riff. Keine Walhaie, Mantas, Mondfische oder andere Tauchboote weit und breit. Da muss man nicht meckern. Kann man aber. Schließlich war ja nichts los. Und während Doreen und Bill bereits zu Beginn unter Verweis auf ihr fortgeschrittenes Lebensalter die Ankündigung vorbrachten, nicht alle Tauchgänge mitmachen zu wollen, da ihnen mehr als zwei mal Abtauchen pro Tag nicht mehr so gut bekomme, klemmt sich Fraktion Kasachstan den dritten Tauchgang aus Desinteresse gleich ganz. Der zweite war ja schließlich auch nicht besser als der erste, und daher waren sie auch schon nach zwanzig Minuten fertig damit.

Nachdem wir uns glücklich schätzen durften, zur köstlichen Suppe einen mit kasachischem Akzent gewürzten Vortrag über die diversen Vorteile, vor allem jedoch über zahlreiche Nachteile diverser weltbekannter Top-Tauchspots kredenzt zu bekommen (Bonaire? Ganz nett, für Anfänger! Aber keine Haie, und überhaupt nichts spannendes! – Wakatobi? Eine Zeitverschwendung, da gibt es nichts zu sehen! – Palau? Viel zu viele andere Taucher, lohnt sich nicht!), werden wir unterhalten von der Anekdote, wie Armana sich in der vergangenen Nacht vor lauter Hunger auf die Suche nach Essbarem machen musste. Und. Nichts. Gefunden. Hat! Staunend und sprachlos vor so viel Not und Elend hören wir anderen mit vollen Mündern ergriffen zu. „Wahrscheinlich“, so Oleg, „wird diese Tauchkreuzfahrt die erste sein, auf der Essensmarken ausgegeben werden!“ Nach dem erfolglosen Beutezug Armanas machte sich ihr Mann also höchstselbst auf, den unhaltbaren Zustand des Hungerleidens zu beenden. Und kehrte mit einem erbeuteten Glas Nutella zurück in die heimische Kajüte. „Aber was glaubt ihr denn, wieviel Nutella man so ohne Brot essen kann?“, gibt seine Frau zu bedenken. Valéries Augen blitzen, als sie, mit gespielter Harmlosigkeit und zuckersüßem französischen Akzent sagt: „Och, wenn der Löffel groß genug ist…!“

Unsere Lektion in Fremdschämen ist für den heutigen Tag allerdings noch nicht beendet. Denn wie auf das Stichwort geht genau an dieser Stelle der Geschichte das Brot zur Neige. Da Oleg aus der strengen Hungersnot der vergangenen Nacht eine Lehre gezogen hat, fragt er Ogung, ob er bitte noch Brot haben könne. Dieser entschuldigt sich, zumal in wenigen Momenten der Hauptgang aufgetragen werden wird. Das Brot sei tiefgekühlt, und er habe gerade keines parat. Neues Brot würde jetzt etwas dauern. „So!“, entgegnet Oleg, und seine Stimme wird gefährlich ruhig. Vor lauter Anspannung schiebe ich mir ein Stück Brot in die Backen, man weiß ja auch nicht, wann es wieder welches gibt. „Und hier entscheidet also der Kellner, wie viel Brot ich essen darf! In Kasachstan würde dieser Mann morgen auf der Straße sitzen!“ Auch wenn anzunehmen ist, dass die Aussage soweit zutreffend ist, und sich in Kasachstan Restaurantbesitzer von Mitgliedern des postkommunistischen Geldadels in ihre Personalentscheidungen hereinreden lassen, nimmt in diesem Moment die Erkenntnis gleich über mehrere Dinge in unserer Runde Gestalt an:

1. Kellnern ist ein Knochenjob. Besonders in Kasachstan.

2. Balinesen sind cooler als Kasachen.
Ogung bleibt selbstverständlich, wir sind hier schließlich nicht in Kasachstan. Und er straft den Gast fortan ganz professionell mit sowohl einer Extraportion Brot als auch mit einer Extraportion Höflichkeit.

3. Alle wissen nun, wer auf dieser Reise der Idiot ist.

Alle – bis auf einen.

© 2013 Vera Wittenberg

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