Inselparadies – gefunden!

Französisch Polynesien

Nächster Flughafen, nächste Blumenkette. Ich trage noch immer die Blumenkrone, die ich auf Rangiroa bekommen habe. Camille, Mädchen für Alles in unserer kleinen Pension auf Tikehau, hat eine Statur wie ein Hafenarbeiter und ein herzerwärmendes Lächeln. Sie bewundert meinen Blumenkranz, und sagt, dass ich nur noch einen Pareo brauche, dann könnte ich heute Abend tanzen. „Aber nur mit dir zusammen!“, sage ich. Sie grinst. „Ich kann nicht. Ich muss doch die Ukulele spielen!“. Als nächstes erklärt sie uns, dass die Pension nur mit dem Boot erreicht werden kann. Außer, wenn die See zu rauh ist, so wie heute. „Und was machen wir jetzt?“, frage ich. Noch ein spitzbübisches Lächeln. „Seid ihr schon mal mit einem Bagger gefahren?“

Unsere Pension liegt nicht weit entfernt vom Flughafen auf einem Motu. Allerdings muss man zwei Kanäle überqueren, wenn man es ‚auf dem Landweg‘ erreichen möchte. Brücken – Fehlanzeige! Unser Gepäck kommt in die Baggerschaufel, wir drappieren uns zusammen mit den zwei anderen Neuankömmlingen halb sitzend, halb stehend um Camille herum im Führerhaus des Gefährts. Endlich haben wir eine Insel gefunden, wo die Straßen noch schlechter sind als auf Gozo! Nach zwanzig Minuten mit fünf Stundenkilometern sind wir ordentlich durchgeschüttelt und sehen zwischen den Palmen eine Gruppe von schnuckeligen Bungalows auf Stelzen. Auf einem freien Platz zwischen den Häusern stehen Hibiskus- und Bougainvillen-Büsche. Und unsere Gastgeber Monique und Jean Claude, beide in den Siebzigern, mit Ukulelen und Kokosnüssen mit Strohhalm bewaffnet. Sie zeigen uns die Anlage und unseren Strandbungalow, der an der Lagunenseite liegt. Wir möchten an dieser Stelle unsere Meinung revidieren: das Ende der Welt liegt nicht auf Fakarava. Nein, es ist genau hier!

Wenn wir bisher im Reiseführer von Stränden mit rosafarbenem Sand gelesen haben, zu denen man Ausflüge unternehmen kann, so liegt er uns jetzt direkt zu Füßen. Problemlos kann ich mir vorstellen, dass die Wahrnehmung eines begabten Postimpressionisten mit Hilfe von etwas Neurosyphillis und Absinth dem Ganzen durchaus in eine satte Pinkfärbung verpassen konnte. Auch wenn Gaugin seine Bakterien eher unter den Inselschönheiten der weiter nördlich gelegenen Inselgruppe der Marquesas verbreitet haben wird, wo er seine letzten Jahre verbrachte und wo sich auch sein Grab befindet.

Der Gemeinschaftsraum unserer Anlage hat eine überdachte Terrasse und eine Marquise, die aus mehreren Pareos zusammengestückelt ist. Mit mehrfarbigen Lichterketten und Bambusmatten ergibt sich der Eindruck eines Siebzigerjahre-Partykellers, der hier, direkt am ruhigen Kanal unseres Motus gelegen, aber irgendwie einen stimmigeren Eindruck macht als in Gelsenkirchen-Buer. Und es hat etwas unheimlich entspannendes, beim Essen den unter uns im kristallklaren Wasser kreisenden Meereschen und Schwarzspitzenriffhaien zuzusehen. Bis zu achtzehn Stück auf einmal zählen wir – und natürlich erhalten sie auch einen Namen. Schnell steht fest, dass ein Hai nur Hainz heißen kann. Der Anführer der Gang weist eine fleckige Färbung am Kopf auf. Ich vermute, dass es sich um die Einkreuzung eines Tigerhais handelt, aber Micha besteht darauf, dass der Chef natürlich tätowiert ist. Und Karl-Hainz heißt. Aber seine Kumpels nennen ihn nur Tattoo-Karl.

Das Abendessen ist vorzüglich, es gibt Languste mit hausgemachter Mayonnaise und Sashimi, das vor Frische fast vom Teller springt. Wenn man rohen Fisch essen will, dann wirklich hier. Hainz sieht das genau so, auch wenn er nicht grundsätzlich darauf besteht, den Thunfisch-Tartar à la Tahitienne mit fein gehackten Zwiebeln und Tomaten zu mischen und in Zitronensaft und Kokosmilch zu marinieren. Gegen die Küchenabfälle von den Langustenresten hat er nicht das geringste einzuwenden.

Nach dem Abendessen folgt das Unterhaltungsprogramm. Camille, die eben noch mit in der Küche gestanden hat, greift nun tatsächlich zusammen mit Jean Claude, Gérard, dem Koch und Gärtner sowie Roland, einem örtlichen Musiker aus dem Dorf, zur Ukulele. Gemeinsam spielen und performen sie ein Potpourri aus polynesischen und französischen Weisen, wobei diese durch die Ukulelen-Untermalung nicht immer sofort auseinander zu halten sind. Jeder der vorbei kommt, greift sich ein Instrument und macht mit, singt oder schlägt zwei Löffel aufeinander, egal ob Koch, Kellnerin oder Barfrau. Rose und Estelle, die weiblichen Angestellten,  tanzen zwischendurch immer wieder den Tamure, den traditionellen polynesischen Tanz, der auch bei Kleidergröße XXL umwerfend aussieht. Nur Camille hält sich eisern an ihrem Instrument fest. „Auf so einer kleinen Insel hat jeder mehrere Aufgaben“, erklärt uns Monique, „sonst funktioniert das nicht.“

Monique und Jean Claude kennen sich seit 52 Jahren, 44 davon sind sie jetzt verheiratet. Bis zur Rente haben sie auf Tahiti gelebt, danach fingen sie an, sich die Inseln anzuschauen. „Vorher war keine Zeit, wir mussten ja beide viel arbeiten.“ Tikehau war dann Liebe auf den ersten Blick. Zurück auf Tahiti bekamen sie per Zufall das Angebot, im Süden von Tikehau ein Motu zu kaufen. Ohne Strom, ohne Wasserversorgung, ohne Straßen. Nachdem sie sich das Inselchen angesehen haben, stand für sie fest, dass sie hier ihren Traum leben wollten. Drei Jahre lang rodeten sie Kokospalmen, installierten eine elektrische Versorgung aus Solar- und Windkraft und legten Zisternen an, um Regenwasser zu sammeln. Als ihre Arbeit soweit fortgeschritten war, dass sie es sich gut gehen lassen konnten, kamen Freunde zu Besuch. Erst nur wenige, dann immer mehr. Plötzlich wurde die Planung der vielen Besuche immer aufwendiger, und die Gastfreundschaft ging ins Geld. Da beschlossen sie, ein Gewerbe daraus zu machen. Sie errichteten weitere Bungalows und hießen nun auch zahlende Gäste willkommen. „Glaub mir“, sagt sie, „wenn man älter wird und nicht mehr arbeiten muss, ist es wichtig, eine Aufgabe zuhaben. Das hält jung!“ Manchmal fühle sie sich noch nicht mal halb so alt, berichtet sie uns. Und wenn man sie mir Jean Claude verliebt Händchen halten sieht, glaubt man ihr jedes Wort. „Eine Pension war perfekt für uns“, fährt sie fort. „Ich habe früher auch in der Tourismusbranche gearbeitet, daher kannte ich mich bereits mit dem Verwaltungskram aus. Und mein Mann war im Baugewerbe.“ Und wenn keine Gäste da sind, dann haben sie ihr Paradies wieder ganz für sich. „Letzte Woche hatten wir ein paar Tage niemanden hier. Die Wellen waren wild, so wie jetzt“, erinnert sich Monique. „Da haben wir uns kurz angeschaut, und uns die Surfboards von unseren Enkeln geschnappt. Das hat so viel Spaß gemacht, wir haben uns gefühlt wie zwanzig. Hinterher haben wir erst einmal unsere Arme und Beine untersucht, ob alles heil geblieben ist“, grinst sie. Da hätte ja wer weiß was passieren können!“ Ihre Freunde hielten sie für verrückt, aber eine Wiederholung sei nicht ausgeschlossen, bekennt die Rentnerin.

© 2015 Vera Wittenberg

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