Südseetraum

Französisch Polynesien

Selbstverständlich sollte unsere Hochzeitsreise, so wie alle Hochzeitsreisen, etwas Besonderes sein. Und weil Reisen, insbesondere zu Tauchzwecken, zu unseren Lieblingsbeschäftigungen zählt, verbrachten wir schließlich weit mehr Zeit darauf, unsere Flitterwochen zu planen als auf die Vorbereitung der Hochzeit selbst. Natürlich gibt es unterschiedliche, höchst exklusive Ziele, zum Beispiel Tauchkreuzfahrten in Regionen, die jährlich nur von wenigen tausend Touristen aufgesucht werden. Meinem Liebsten schwebten daher Destinationen wie Galapagos, Cocos Island, Socorro oder Malpelo vor. Mein Veto: Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen Tauchkreuzfahrten. Man kann Glück haben und Pech, und wir hatten beides schon. Alle genannten Ziele sind höchst reizvoll, isbesondere deshalb, weil es dort überall jede Menge Großfisch zu bestaunen gibt. Solche Tauchgebiete sind heutzutage leider nicht mehr häufig, und Großfisch hatten wir in den letzten Jahren  tatsächlich nicht so viel. Aber: wenn es um Flitterwochen geht, schaltet mein Hirn in den Romantik-Modus. Dann will ich mit einem Cocktail in der Hand und mit den Füßen im Sand stehen, und Hand in Hand unter Palmen den Sonnenuntergang anschauen. Und nicht mit einer Horde mehr oder weniger netter und mehr oder weniger fähiger Flossenidioten, die man sich nur zu einem winzigen Bruchteil (n = 1) selber ausgesucht hat, auf einem Schiff zusammengepfercht werden, ohne die Möglichkeit zu haben, einander aus dem Weg zu gehen oder einfach mal einen Abend ganz für sich zu haben.

„Hm“, sagte mein Liebster, „Botschaft angekommen. Das kann ich verstehen.“ Prima, ein Mann der mich versteht. Alles richtig gemacht. Dies allein stellte zwar nicht die Lösung dar, war zumindest aber eine vielversprechende Basis. Wer von uns letztlich die zündende Idee hatte, wird vermutlich immer ein ungelöstes Rätsel bleiben. Tatsache ist, dass verschiedene Chronisten ganz Unterschiedliches berichten. In meiner Erinnerung habe ich Micha den phantastischen Vorschlag gemacht, uns doch einmal bezüglich Reisen nach Tahiti zu informieren. Worauf er den Himmel pries, mit so einer klugen Frau gesegnet worden zu sein. Auch in der Retrospektive erscheint mir dieser Ablauf als der von allen Möglichkeiten wahrscheinlichste. Gehen wir also davon aus, dass es so – und genau so – gelaufen ist.

Nicht dass die anderen Exklusivreisen grundsätzlich günstiger gewesen wären. Trotzdem muss an dieser Stelle Erwähnung finden, dass es uns gelang, einen Hauptsponsor für unser Vorhaben zu gewinnen, so dass unser Anteil der Teaumreise finanzierbar wurde. Mit der irrsinnig langen Anreise und der absurden Zeitverschiebung klar zu kommen blieb allerdings an uns persönlich hängen. Und so begaben wir uns eine Woche nachdem wir aus ganzem Herzen JA zu einander gesagt haben, auf eine Reise um buchstäblich die halbe Welt.

Düsseldorf – Paris – Los Angeles – Pape’ete, von dort weiter auf die kleine Insel Fakarava, so sieht unser Reiseplan aus. „In die Richtung ist die Zeitverschiebung erträglich“, erklärt Micha. „Anders herum ist es viel anstrengender.“ Ich nicke, bezweifle aber insgeheim, dass die Flugrichtung bei einem Zeitunterschied von elf Stunden wirklich eine große Rolle spielt. Die Anreise verläuft planmäßig und ohne besondere Vorkommnisse. Insbesondere wird uns glaubhaft versichert, dass das Gepäck bis Pape’ete durchgecheckt wird, was schließlich auch funktioniert. Nach dem erneuten Start in Paris haben wir aus unserem Kabinenfenster einen kurzen Blick auf den in der Abenddämmerung bereits beleuchteten Eifelturm, so wie es sich für eine anständige Hochzeitsreise geziemt. In Los Angeles haben wir eineinhalb Stunden Aufenthalt, die aber durch Einscannen unserer Gesichter und Fingerabdrücke inklusive der Zusammenführung mit unseren NSA-gespeicherten Daten buchstäblich schneller als im Flug vergehen. Gerade ist noch Zeit, um uns am Gate von einem Typen namens Jesus einen Doughnut zu kaufen. Der Augenringe erster Teil.

Als wir auf Tahiti landen, tragen wir unsere Kleider bereits seit 32 Stunden. Es ist Ortszeit 6:20 Uhr morgens, was 17:20 am selben Tag in unserer Heimat entspricht. Beim Öffnen der Flugzeugtür passieren mehrere Dinge gleichzeitig: uns schlägt eine morgendliche Temperatur von 33 Grad mit einer Luftfeuchtigkeit ins Gesicht, die einem Dampfbad zur Ehre gereichen würde. Diese veranlasst unsere Schweißdrüsen in verschiedenen Körperregionen dazu, alles zu zeigen, was sie gelernt haben. Was das olfaktorische Gesamtergebnis insgesamt auf ein neues Level hebt. Glücklicherweise trägt die Morgenluft ein adäquates Gegengift mit sich. Denn wenn Panama laut Janosch von oben bis unten nach Bananen riecht (was wir hätten verifizieren können, wenn wir denn nach Malpelo gefahren wären), dann liegt in Tahiti ständig ein leichter Blütenduft in der Luft. Die Geste, Reisenden bei der Ankunft Blumenketten umzuhängen, macht plötzlich ungemein Sinn. Und so geschieht es uns auch, kaum dass wir die Ukulelenspieler und Südseetänzerinnen, die den Eingang des Flughafengebäudes bewachen, hinter uns gelassen haben. Vermutlich haben auch die Seefahrer wie Captain Cook nach Monaten auf dem Meer nicht bessere Gerüche verströmt als wir, so das hier dieser Brauch seinen Anfang nahm.

Blumenkränze zur Begrüßung, Muschelketten beim Abschied, so will es die Tradition. Die nicht mehr überall gepflegt wird. Genau so wenig wie die Sitte, durch die Seite der Blume im Haar seinen Familienstand auszudrücken. Also so wie die Schleife der Dirndlschürze beim Oktoberfest. Ich bin mir jetzt nicht sicher, wo die Schleife sein muss – aber Blume rechts hieß traditionell: ‚ich bin noch zu haben‘, Blume links: Sorry, Chico, zu spät. Ein weiterer Insider: das Winken mit der geschlossenen Hand, bei der Daumen und kleiner Finger abgespreizt sind. Das heißt nicht etwa wie man annehmen möchte „Ich ruf dich an“ oder „Wir telefonieren die Tage mal“, sondern ist einfach ein freundlicher Gruß, sondern in etwa „Hallo, wie geht’s?“ oder als Antwort „Super, alles klar“. So in etwa wie die ‚Pommesgabel‘ in Wacken also.
Aber ich schweife ab.

Wir waren am Flughafen, es war zwanzig nach sechs, schwül, feucht, roch komplex nach einer Mischung von Körperausdünstungen und Südseeblumen und wir waren müde. Trotz Blumenkette.
Die kleineren Inseln werden nur einmal täglich angeflogen, was in unserem Fall heißt: 12:20. Wenn man nun denkt, ach, in sechs Stunden schauen wir uns mal Pape’ete an, trinken nett ’nen Kaffee, Essen vielleicht noch ’ne Kleinigkeit – das muss leider ausfallen. Denn wir haben unsere drei Koffer mit Tauchklamotten, Tauchklamotten und etwas Kleidung, alle akurat auf 22,8 kg gepackt. Und das Einchecken ist nach Angaben der Südseeprinzessin am Schalter erst ab halb zehn möglich. Der internationale Flughafen Pape’ete spiegelt nun nicht unbedingt das wieder, was einem das Wort suggerieren möchte. Es handelt sich um einen eingeschössigen Bau mit altersschwachen Ventilatoren unter der Decke und dem Charme eines Achtzigerjahre-Bahnhofs einer mitteldeutschen Kleinstadt. Vor der Renovierung. Ohne die Shopping-Möglichkeiten. Aber trotzdem nicht vergessen: Smile, you are in Tahiti!
Kein Problem, denken wir. Schließlich kann man ein, zwei Stündchen auch ohne weiteres im Internet vertrödeln. Schließlich sind wir ja auf einem internationalen Flughafen. Und überall (außer in Deutschland) gibt es freies WLAN am Flughafen. Reisen bildet, und wir wissen jetzt: überall, außer in Deutschland und außer in Tahiti. Aber schließlich kann man auch mit der Suche nach Guthabenkarten für das kostenpflichtige Internet, Trinkwasser, was zu Essen und einem Geldautomaten ein paar Stunden verbringen, in denen aufgrund unserer Übermüdung sowieso nur noch eine stark verzerrte Wahrnehmung möglich ist. Auf der Suche nach Nahrung kommen wir am Schokoriegel-Regal des Souvenirshops vorbei. Ist es Zufall, dass es in einem Land mit so vielen Kokosnüssen zwar Snickers, Twix und Mars, aber kein BOUNTY gibt? Oder haben die Nachfahren von Fletcher Christian da ihre Finger im Spiel? Als wir letztlich dann doch unsere Koffer Einchecken und im Wartebereich an unserem Gate Platz nehmen sind die Blumenketten bereis verwelkt und zerdrückt. Und während von irgendwo Südseeklänge ertönen, beobachten wir staunend Mitreisende, die dazu Luftukulele spielen.

© 2013 Vera Wittenberg

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