Haifischflossensuppe

Französisch Polynesien

Frühstück gibt es ab sieben, und wir haben Hunger. Die Zeitverschiebung hat uns voll in ihren Krallen, so dass wir um Mitternacht hellwach zu unserem Notfall- Snickers greifen mussten. Am Nachbartisch nehmen die Polynesier Platz. Auf ihrem Tisch stehen Schalen mit Mayonnaise, die sie zum frühmorgens selbst gefangenen rohen Fisch essen, der in der Küche eben schnell noch filetiert und gehäutet wird. Fröhlich winkend bieten sie uns von ihrem Fang an – allerdings ist für uns die Kombination mit Kaffee, Orangensaft und Frühstücksei doch noch etwas ungewohnt, so dass wir die Einladung ausschlagen müssen. Außerdem haben wir keine Zeit, denn wir sind ja nicht zum Spaß hier. Wir sind zum Tauchen verabredet.

„Ich bin Jessi“, begrüßt uns um halb acht unser Tauchguide, der uns an der Pension abholt. Wir schmeißen unser Tauchgerödel auf den Pick up und nehmen vorne im Wagen Platz. Jessi kommt aus Frankreich und lebt seit sieben Jahren seinen Südseetraum. Seit einem Jahr hat er dem etwas lebhafteren Rangiroa den Rücken gekehrt und lebt auf Fakarava. Wann er wieder nach Frankreich will, frage ich. „Jamais!“, sagt er und grinst. Fakarava ist eines der größten Atolle in Französisch Polynesien. Während die Gesellschaftsinseln mit der Hauptinsel Tahiti, der Nachbarinsel Mo’orea und Bora Bora, dem Luxus-Archipel für Honeymooner, vulkanischen Ursprungs sind und daher ein Festland mit Bergen, Wasserfällen und „richtiger“ Vegetation haben, welches von einem Saumriff umgeben ist, bestehen die Tuamotus im Nordosten der Society Islands nur aus Atollen. Ein Atoll ist im Grunde nichts anderes als ein Saumriff, dem in der Mitte die Insel fehlt. Die mehr oder weniger zusammenhängenden Landmassen bestehen aus den Spitzen des Korallenriffs, die in mehr oder weniger akurater Kreisform den zwischen ihnen liegenden Teil des Meeres, die Lagune, umschließen. Meer und Lagune sind durch flache Kanäle, aber auch durch die tieferen Passagen miteinander verbunden, durch die in Abhängigkeit von den Gezeiten das Wasser in die Lagune hinein und aus der Lagune hinaus strömt, so dass das Atoll in größere und kleinere Inseln bis hin zu den kleinsten Motus unterteilt wird. Natürlich läuft die Lagune bei Ebbe nicht leer, aber die Stömung reißt planktonreiches Wasser mit sich, und mit ihm bewegt sich jede Menge Getier durch die Passagen.

Genau zu so einer Passage steuert unser Captain, der Elvis heißt und bestimmt genau wie jeder andere Polynesier auch virtuos Ukulele spielen kann, unser Boot. Haie lieben die Strömung. Und wenn wir das bisher noch nicht gewusst haben, erfahren wir es in dem Moment, als wir uns rückwärts über die Bordwand ins Wasser fallen lassen und unseren Kopf unter die Wasseroberfläche stecken. Denn da erwartet uns die einzig legitime Haifischflossensuppe. So viele Haie, dass man kaum das Riff sehen kann! Es ist gigantisch. Am Drop off des Außenriffs beobachten wir die beeindruckende Patrouille, als sich zwischen den eleganten Schwarzspitzen- und grauen Riffhaien plötzlich ein riesiger Schatten nähert. Unser Guide macht erst eine drehende Bewegung mit beiden Händen, deutet dann auf das Gelb meines Neoprenanzugs: ein Zitronenhai. Das possierliche Tierchen hat bestimmt an die fünf Meter!

Da die Strömung einlaufend ist, bewegen wir uns nun in ihr am Riff entlang bis zur eigentlichen Passage. An der Anemone geht es scharf links ab – danach braucht man keine Wegbeschreibung mehr. Widerstand ist zwecklos, und manchmal hat es eben nichts mit Oportunismus zu tun, wenn man mit dem Strom schwimmt. Hier geht es um den reinen Selbsterhaltungstrieb, der uns dazu bringt, uns „einfach mal treiben zu lassen“. Mit einer irren Geschwindigkeit peitscht uns die Strömung durch den Passe de Garuae, kurz auch Nordpass genannt. Das hier ist Männertauchen, nichts für Nacktschnecken-Knipser! Allerdings kommt man vor lauter Großfisch auch nicht dazu, in Ritzen und Spalten nach kunterbunten Kriechtieren zu suchen. Die allgegenwärtigen kleinen, aber neugierigen Grauhaie wechseln sich ab mit Schwarzspitzenhaien und Weißspitzenriffhaien. Dann folgt plötzlich eine aufgeregte Geste unseres Guides: drei Mantas fliegen im Formationsflug an uns vorbei! Um die nächste Biegung herum erwartet uns schon die nächste Überraschung: ein Silberspitzenhai, ein sonst sehr scheues Tier, das normalerweise in tieferem Wasser zu Hause ist. Und wir sind hier mal gerade auf zwanzig Meter! Nach dieser atemberaubenden Achterbahnfahrt setzen wir im ruhigen und flacheren Wasser der Lagune unsere Boje und steigen auf.

An die Oberfläche zurück gekehrt sehen wir, dass sich das Wetter geändert hat. Wolken sind aufgezogen, und es hat angefangen zu regnen. Captain Elvis hat seinen Südwester angelegt und sieht aus, als wollte er mit uns um Kap Horn herum in See stechen. Dabei geht es nur auf die andere Seite des Atolls. Bis wir nach der halbstündigen Fahrt wieder zurück an der Tauchbasis sind, strahlt die Sonne mit unserem breiten Grinsen wieder um die Wette. Genau wie Irène, die gute Seele im Office der Tauchbasis. Sie freut sich, dass wir einen schönen Tauchgang hatten. „Habt ihr Mantas gesehen?“, fragt sie? Selber taucht sie zwar nicht, aber sie weiß ganz genau, was ihre Kunden sehen wollen. Und wie man sie bei Laune hält! Sie scherzt ununterbrochen, verteilt Kekse, und fordert immer wieder alle Taucher zum Trinken auf. Die nächste Druckkammer ist in Pape’ete, das sind mit dem Rettungshubschrauber bei guten Bedingungen eineinhalb Stunden – also besser vorbeugen! Nitrox und ausreichend Flüssigkeit sind da auf jeden Fall eine gute Idee. Für jeden von uns hat sie einen Spitznamen als Elelsbrücke parat. Micha ist Michael Jackson, ich die Vera aus Scoobidoo.

Nachmittags sitzen wir mit den Peters, Beatrix und Sanny beim Deko-Hinano am Strand und berichten von unseren Abenteuern. „Geiler Scheiß!“, meint Sanny. Die schweizer Krankenschwester ist mit ihrem Mann Peter ebenfalls auf Hochzeitsreise. Sie waren vor Fakarava bereits auf Rangiroa, welches bei uns als nächstes Etappenziel vorgesehen ist. „Habt ihr auch den Tigerhai gesehen?“ Sie waren in einer anderen Gruppe als wir, nur wenige hundert Meter hinter uns. Na, immerhin hatten wir einen Zitronenhai. Allerdings Klagen wir bei den großartigen Eindrücken des heutigen Tages wirklich auf hohem Niveau. Peter und Beatrix aus Röbel in MeckVopo haben sich die Reise zur Silberhochzeit geschenkt. Sie kennen Fische eher von der anderen Seite des Angelhakens. Zuhause haben sie einen Bootsanleger und wohnen direkt am See. Als Süßwassermatrosen haben sie etwas mehr Respekt vor Haien als wir. Als sie unsere Haifotos sehen, kommentieren sie diese daher mit den typischen Parolen: „Guck mal, was für kalte Augen der hat!“ Kein Wunder, es handelt sich ja auch um einen Fisch, und nicht um einen Pandabär. Fische sind von Natur aus Kaltblüter, was ihnen allerdings nicht automatisch eine kaltblütige Gesinnung verpasst. Dabei ist die Gefahr auch in diesen ‚Hai-verpesteten Gegenden‘ größer, sein Leben durch fallende Kokosnüsse zu verlieren als durch eine dieser blutrünstigen Bestien mit Killerinstinkt – und trotzdem läuft am Strand keiner mit einem Helm herum. Mehr Ärger als Kokosnüsse und Haie zusammen machen uns allerdings wesentlich kleinere Lebensformen. Merke: auch im Paradies gibt es fiese, kleine Mücken, die garantiert wie Hagen von Tronje jede ungeschützte Stelle deines Körpers finden werden und gnadenlos zustechen. Allerdings sieht man die weder auf Postkarten noch in idyllischen Reiseprospekten. Nach den ersten fiesen Stichen genießen wir den Rest des Abends in einer Wolke DEET-haltigen Mückensprays, und sehen in der sinkenden Sonne zu, wie die Rückenflossen der Schwarzspitzenriffhaie direkt am Strand feine Linien in das Wasser ziehen.

Und nach dem Sonnenuntergang stehen wir staunend unter einem riesengroßen Himmel voller Sterne, und freuen uns, nach langer Zeit endlich einmal wieder das Kreuz des Südens zu finden. Wir haben dich vermisst!

 © 2013 Vera Wittenberg

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