Kleine Haie

Palau

Vor das Tauchen haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt. Nach der üblichen Morgentranspiration – früh morgens ist die Luftfeuchtigkeit am höchsten, schließlich befinden wir uns nur eine Handbreit über dem Äquator – kommt noch eine Portion Angstschweiß dazu, als direkt neben dem Kaffee-Ausschank eine Dame mit einem spitzen Gegenstand meine Fingerkuppe penetriert. Blut quillt hervor. Welches, so werden wir aufgeklärt, nicht dem Anlocken von Haien dient. Immerhin war Palau die erste Nation, die eine Hai-Schutzzone in ihren Gewässern eingerichtet hat. Der Blutstropfen wird, genau wie überall sonst auf der Welt auch, zur Bestimmung des Blutzuckers benötigt, denn heute ist Diabetes-awareness-Tag. Meiner liegt bei 104, und ich darf tauchen. Mein Liebster hat Angst vor Nadeln (oder vor Haien?) und drückt sich. Er wird trotzdem aufs Boot gelassen.

Tauchen geht hier grundsätzlich als Tagestour. Die acht Boote von Sam’s Tours tragen alle die Namen von Haien, ein ‚Flipper‘ ist nicht dabei. Also gehen wir mit unserer Tauchkiste auf der ‚Whaleshark‘ an Bord, weil das der harmloseste Vertreter ist. Dort warten schon jeweils zwei Tauchflaschen für die geplanten Tauchgänge auf uns.

Die Bootsfahrten zu den Tauchplätzen der südlichen Inselregion, zu der Koror und Molokal, wo wir wohnen, gehört, sind doch relativ lang, so dass man morgens erst einmal eine Stunde durchgeschaukelt wird, bevor man abtauchen kann. Auf der Fahrt ist die schwüle Morgenhitze schnell vergessen. durch den Fahrtwind und die übliche leichte Bewölkung sind die Temperaturen durchaus angenehm. Wenn sich das Boot in die Kurve legt, gibt es gratis noch einen Schluck Salzwasser ins Gesicht, zur Abkühlung.
Empfindlichere Kreaturen und solche, die nicht wie wir mit allen Wassern der sieben Weltmeere gewaschen sind, tragen Fleece-Pullover und GoreTex-Jacken, während wir durch das bizarre Labyrinth der ‚Rock Islands‘ brettern. Auf der Fahrt erklärt uns Daniel, der philippinische Guide, den Umgang mit den Riffhaken.

Der Sinn dieser Dinger ist, um es kurz zu machen, einfach. Haie lieben Strömung. Taucher nicht. Je mehr Strömung, desto mehr Haie. Will man jetzt nicht wie ein Irrer gegen den Strom schwimmen, was man ja Zuhause schon dauernd tut, dann sucht man sich mitten im dichtesten Haigewimmel eine tote Koralle oder einen Stein, und hakt sich dort fest. So dass man die Haie ganz gemütlich betrachten kann. Und die Haie die Taucher der Reihe nach begutachten können, wie die Auslage in einem Süßigkeitenladen. Am Blue Corner, einem der bekanntesten Tauchplätze der Inselregion, umkreisen uns bestimmt zwanzig dieser eindrucksvollen Fische. Durch die unter Wasser verzerrte Optik sehen sie größer aus und erscheinen uns näher, so dass wir den Eindruck von mannsgroßen Tieren haben, die bis auf Armeslänge an uns heran kommen. Tatsächlich handelt es sich ausnahmslos um kleine Riffhaie, auf die dann tatsächlich zutrifft: der tut nichts, der will nur spielen! Mit Zoom werden die Fotos trotzdem eindrucksvoll genug, um später zuhause die Nachbarn zu erschrecken.

Als wir unsere Riffkaken lösen, treibt die Strömung uns wie eine Achterbahn durch ein Wunderland aus Stein- und Weichkorallen, vorbei an Schwärmen bunter Fische, Schildkröten und allerhand anderem Getier, das wir in den nächsten Tagen in ruhigeren Gewässern noch genauer unter die Lupe nehmen werden. Nach einer Stunde sind wir wieder an der Oberfläche – und sind tief beeindruckt. Der Kapitän hat unsere Boye erblickt und steuert das Boot zu uns. Bis zum Nachmittagstauchgang weicht das Grinsen nicht mehr von unseren Gesichtern.

© 2012 Vera Wittenberg

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