Die Geister die ich rief…

Marsa Alam

… werde ich offenbar so schnell nicht mehr los. Trotzdem bin ich noch weit davon entfernt, den Tag zu verfluchen, an dem ich meinem frisch erkorenen Liebsten vor eineinhalb Jahren den Vorschlag machte, mich zum Tauchen auf meine kleine Lieblingsinsel zu begleiten.

Seither waren wir vier Mal dort. Aus dem Schnuppertaucher ist ein routinierter und begeisterter Tauchpartner mit Vollausstattung und reichlich Stickstoff- und Tiefenerfahrung, aus dem Münsteraner ein Wahldortmunder geworden. Das Thema Urlaubsplanung scheint sich dadurch statt auf das „wohin“, mehr auf das „wann“, „wie lange“ und „wie oft“ zu reduzieren. Meine einzige Chance, mal woanders hin zu fahren als nach Gozo, und so auch mal wieder etwas zu posten, was sich von dem bereits Geschriebenen nicht nur in Nuancen unterscheidet, bestand also darin, mir im November Urlaub einzutragen. Und danach den Herrn davon zu überzeugen, dass es in südlichen Mittelmeer zu dieser Jahreszeit doch etwas wechselhaft sein kann.

Dass wir Tauchen mussten, schien indes fest zu stehen. Da wurde ich gar nicht gefragt. Irgendwo tief in meiner Vergangenheit entspringt eine verblassende Erinnerung, die mich Glauben lässt, dass es Phasen in meinem Leben gab, in denen ich im Urlaub etwas anderes als Neopren getragen habe. Tauchen also. Wir waren in diesem Jahr auch erst vier Wochen Tauchen… Bei der Suche nach einem geeigneten Reiseziel muss man jetzt nur noch die Variablen „Reisezeit = November“, „Dauer = 1 Woche“, „Wassertemperatur = angenehm“ und „Zeitverschiebung < 3 Stunden“ in eine komplizierte Formel eingeben, dann kommt am Ende dabei „Canaren“ heraus. Da war mein Liebster allerdings schon letztes Jahr, als der Stickstoffentzug zu schlimm wurde. Ohne mich.

Rechnet man noch mal nach, kann das Ergebnis auch genau so gut „Ägypten“ lauten. Das Land der Pharaonen bietet zudem den nicht von der Hand zu weisenden Vorteil, dass man als Frau mit Anfang Vierzig zwischen einem Haufen Mumien niemals alt und verschrumpelt wirkt, und so war ich von der Idee begeistert.

Ägypten ist groß, und Orte, die sich auf die Bedürfnisse von Tauchtouristen spezialisiert haben gibt es viele. Allerdings bei Weitem nicht so viele wie Tauchtouristen. Der Furcht der meisten dieser Massentourismus-begeisterten Rudeltaucher vor vorübergehend instabilen politischen Verhältnissen sei es gedankt, dass in diesem Jahr die mexikanische Tourismusindustrie einen kometenhaften Aufschwung zu verzeichnen hat. Und an den schönsten Tauchplätzen im Roten Meer nicht zwanzig, sondern nur zwei Boote auf einmal ankern. Demzufolge reagierten die Fluggesellschaften mit dem vermehrten Einsatz von Touristenbombern auf Strecken in westliche Richtung. Und da wir trotz verminderter Touristenströme ruhigere Regionen im Süden den Hochburgen im Norden wie Sharm el Sheikh oder Hurgada vorziehen, gibt es statt eines Direktfluges eine abendliche Abenteuerfahrt durch die Wüste. Von Hurghada vorbei an Safaga, El Quseir und schließlich nach Marsa Alam. Dreieinhalb Stunden, und die sind trotz vier Stunden Flug, zwei Stunden Krieg am Gepäckband und Dunkelheit gar nicht langweilig.

Ashraf, unser Reiseführer, gibt uns vor Antritt der Fahrt eine kurze geografische Einführung und einen Tee aus. Den kauft er natürlich nicht irgendwo am Flughafen sondern an einem Straßenstand. In einer Art Beduinenzelt hocken Männer auf Kunststoffschemeln, sehen Fern und trinken süßen, schwarzen Tee. Wir dann auch, allerdings in dem Kleinbus mit plüschverkleidetem Amaturenbrett, der uns durch die Wüste bringen wird. Immer die Küste entlang, auch wenn es seit 17:00 Uhr stockfinster ist und man das Meer daher nicht sehen kann. Ashraf kennt offensichtlich die Bedürfnisse deutscher Touristen und trifft bei uns absolut ins Schwarze. Er spricht hervorragend Deutsch, und bei unserer ersten Begegnung unmittelbar nach Betreten des Flughafens begrüßte er uns mit einem Schild mit unseren Namen sowie in rascher Folge mit Visum-Aufklebern in unseren Pässen. Einen Augenblick später schob er uns durch das Flughafengebäude zu der kürzesten Schlange an den Einreiseschaltern, und hat uns die Wartezeit so sicher problemlos um eine halbe Stunde verkürzt. Für das arabisch-deutsche Chaos am Gepäckband konnte er ja nichts…

Die Straßen sind überraschend gut (ich arroganter europäischer Schnösel!) und die Fahrt verläuft mit dem Tee in der Hand angenehm ruhig. Rechts und links der Strecke nichts als Sand, bis auf große, unwirklich beleuchtete Ferienresorts, die wir dann und wann passieren. Kurzweilig und lebhaft wird es, als wir El Quseir erreichen. „Hier sieht man das typische ägyptische Leben“, erklärt uns Ashraf, und fügt hinzu: „Morgen ist ein Festtag. Deshalb sind so viele Leute unterwegs.“ Wir öffnen das Fenster, um eine Nase voll Tausend und eine Nacht zu schnuppern. Kinder lachen und spielen, in den abendlichen Läden werden Geschäfte gemacht und Haare geschnitten, während uns aus den Lokalen verführerische Düfte daran erinnern, dass es im Flugzeug nur Frühstück gab. Noch ein kleiner Plausch an der Tankstelle, und es geht weiter durch die nächtliche Wüste, Marsa Alam entgegen.

© 2011 Vera Wittenberg

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